Muskuläre Schmerzen lindern: Evidenzbasierte Methoden und innovative Therapieansätze.

Ursachen und moderne Behandlungsmethoden bei muskulären Schmerzen

Er hat in den letzten drei Jahrzehnten die Schmerzmedizin in Deutschland entscheidend mitgeprägt: Heute haben wir den Göppinger Schmerztherapeuten Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe zum Interview geladen. Wir wollen wissen: Wie bewertet er das Thema „Muskuläre Schmerzen“ in der heutigen Zeit und wie schätzt er die Zukunft der Schmerztherapie aus Expertensicht ein.

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Interview mit Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe.

Herr Dr. Müller-Schwefe, worin sehen Sie nach so vielen Jahren der praktischen Erfahrung die Hauptursachen von muskulären Schmerzen, etwa Rückenschmerzen?

Die Hauptursache ist mit Sicherheit der Bewegungsmangel. Das Kernproblem ist, dass der Mensch von seinem Körperbau her immer noch als Savannen- und Steppenläufer ausgerichtet ist. Durch das moderne Arbeitsleben sind wir aber zu wahren Sitztieren mutiert. Diese nicht artgerechte Haltung führt dazu, dass ein Teil des Bewegungssystems nicht nur verkümmert, sondern durch die Verkürzung von Muskulatur und durch eine Fehlfunktion von Gelenken und Bändern auch massiv schmerzauslösend wirkt. Dies führt dazu, dass die Menschen immer mehr Schmerzen haben und sich daher immer weniger bewegen. So entsteht ein Teufelskreis, aus dem man sich ohne professionelle Hilfe nur schwer wieder befreien kann.

Welche Rolle spielen moderne und evidenzbasierte Trainingstherapien bei der schmerztherapeutischen Versorgung von Schmerzpatienten mit muskulären Problemstellungen?

Wirksame Therapien, wie beispielsweise die FPZ Therapie, haben den großen Vorteil, dass Patienten mit Schmerzen am Bewegungsapparat sehr gezielt behandelt werden und eine intensive für sie maßgeschneiderte Trainingstherapie erhalten. Und zwar in einer Intensität, die in der kassenärztlichen Regelversorgung nicht möglich bzw. verfügbar ist. Therapien, die darüber hinaus auf eine sorgfältige Eingangsanalyse zu Beginn der Behandlung setzen, erlauben dem Arzt und dem Therapeuten ganz gezielt auf die Defizite des Patienten einzugehen. Das führt zu sehr guten Ergebnissen, die sich bei den Premium-Therapien auch in der Abschluss- bzw. Ausgangsanalyse zeigen.

Welche anderen Maßnahmen setzen Sie in Kombination zu diesen Premium-Therapien ein?

Wir als Schmerzmediziner müssen immer begutachten, wie weit Patienten chronifiziert sind. Für Menschen, die noch nicht sehr weit chronifiziert sind, ist es entscheidend, dass sie ein für sie akzeptables und wirksames Trainingskonzept finden, welches langfristig wirkt. Für chronifizierte Patienten, bei denen weitere Faktoren wie Stress und depressive Verstimmung hinzukommen, wirkt z. B. die Rückenmuskulatur wie ein Staubsauger für psychische Traumatisierung. Wir setzen dann, im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie auf begleitende Maßnahmen wie Verhaltenstherapie, Biofeedback, Akupunktur, Elektrostimulation oder postisometrische Relaxationstechnik. Das aktive Training ist jedoch auch bei dieser Patientengruppe ein entscheidender Faktor. Ziel der Schmerztherapie ist es, die Patienten in einen Zustand zu versetzen, in dem sie wieder aktiv trainieren, am Leben teilnehmen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können.

Um eine breitere Patientenzielgruppe ansprechen zu können und noch mehr Menschen ein schmerzfreies Leben zu ermöglichen, kommen verstärkt digitale Angebote auf den Gesundheitsmarkt. Online-Präventionskurse und mobile Apps erfreuen sich großer Beliebtheit. Was halten Sie von diesem Trend?

Die eingehende körperliche Untersuchung von Schmerzpatienten sowie die ausführliche Erhebung ihrer Vorgeschichte ist und bleibt die Grundlage jeder Therapie. Für den langfristigen Therapieerfolg ist es aber entscheidend, dass die Patienten lernen, eigenverantwortlich ihre Gesundheit zu fördern. Hier können Apps und Plattformen sehr gut dazu beitragen. Die Trainierenden erhalten neben einem gezielten und zeitlich flexibel zu absolvierenden Übungsprogramm versierte Hilfestellung bei Fragen und Problemen. Einige mobile Apps bieten zudem den weiteren Vorteil, dass über Sensoren frühzeitig auf Störungen hingewiesen wird und entsprechenden Übungen und Maßnahmen gezielt empfohlen werden können.

Einige Kritiker meinen aber, dass durch digitale Präventions- und/oder Ergänzungskurse das persönliche Verhältnis zwischen Arzt bzw. Therapeut und Patient zu kurz käme. Wie reagieren Sie darauf?

Das sehe ich nicht so. Die modernen und aus seriöser Quelle stammenden Angebote bieten meiner Meinung nach allesamt gute Kommunikationsmöglichkeiten mit den begleitenden Fachkräften, etwa durch E-Mail, Telefon, Chat und Community. Einem Schmerzpatienten kann ich jedenfalls nur dringend davon abraten, ungeprüfte Laien-Kurse großer Videoplattformen oder aus Social Media-Profilen für die eigene Gesundheitsvorsorge einzusetzen. Hier kommt es aus Expertensicht nämlich nicht selten zu einer Verschlimmerung der (Schmerz-)Situation und damit steigt die Gefahr der Chronifizierung deutlich.

Danke für Ihre Zeit.